"PRISM" vs. Demokratie

Die hauptsächliche Diskussion zu "PRISM" dreht sich derzeit um technische Details des NSA-Überwachungsprogramm sowie die Statthaftigkeit des Programms im Sinne der Legalität bzw. ausreichender Geheimdienst-Kontrolle. Jetzt kann man sich über das Für und Wider von solcherart Überwachungsmaßnahmen ausufernd streiten – und es gibt da sicherlich zwei Ansichten, weil eine "gute" Überwachung durchaus das Leben des Normalbürgers nicht beeinträchtigen muß und im Notfall auch einmal einen Informationsgewinn für handelnde staatliche Stellen bedeuten kann. Die Gegner werden hier natürlich einwenden, daß sie nicht Freiheit für Sicherheit tauschen wollen – die Fronten sind diesbezüglich üblicherweise verhärtet.

Bei dieser Betrachungsweise auf das PRISM-Programm geht es jedoch immer nur um das "was wir wollen" – vergessen wird dabei die Betrachtung zu "was ist". Und wir haben eben nicht den Vorschlag einer Regierung, die Bürger in der einen oder anderen Form überwachen zu lassen – sondern wir haben die Entdeckung, daß dies auf Basis von geheimen Gesetzen, Anordnungen und Richtersprüchen bereits in einem vollumfänglichen Maßstab passiert. Der eigentliche Skandal an PRISM ist nicht die Idee zu so einer Überwachung, sondern daß es im geheimen schon getan wurde. Und zwar ohne daß der Soverän – in demokratischen Staaten im Normalfall das Volk und nicht dessen Regierung – darüber entscheiden durfte. Wie kann man auch schließlich über etwas entscheiden, was einem nie vorgelegt wurde – weder dem Volk noch dem Parlament als dessen Vertretung?

Was fehlt in der ganzen Diskussion um PRISM ist die Frage der Verantwortung über diesen Punkt der Geheimhaltung elementarer Teile einer Regierungsdoktrin gegenüber dem eigenen Volk bzw. dem Rest der Menschheit. Wie kann man sich als Politiker zur Wahl stellen, wenn man die Absicht hat, sein Wahlvolk nicht über so bedeutsame Punkte zu unterrichten? Oder noch viel schlimmer: Wie kann man sich als Politiker zur Wahl stellen, wenn man über solche Punkte keine griffigen Informationen vorliegen hat, weil man zu weit unten auf der Leiter steht? Und letztendlich: Wie kann das Volk eine solide Wahlentscheidung treffen (und immerhin sind Wahlen in den meisten Staaten die einzig relevante politische Ausdrucksmöglichkeit des Bürgers), wenn wichtige Teile des Gesamtbildes fehlen, da sie unter "Geheimhaltung" stehen?

An dieser Stelle muß auch der Überwachungsmaßnahmen positiv oder neutral gegenüberstehende Bürger aufgefordert werden, sich zu überlegen, ob dies wirklich seine "Demokratie" sein soll: Eine Demokratie, wo nur noch eine Handvoll an Entscheidern alle Informationen hat und wo faktisch der gesamte Politikbetrieb um diese Handvoll an Entscheidern eigentlich zwecklos ist, denn ohne vollständige Informationen kann man schließlich keine soliden Entscheidungen treffen. Jede Nachrichten-Sendung, jedes Politik-Magazin, jede politische Publikation ist doch im eigentlichen zwecklos in einer Gesellschaft mit Geheiminformationen und Geheimgesetzgebung. Und wie schon genannt – auch Wahlen sind in einer solchen Gesellschaft eigentlich zwecklos, zumindest aber nicht mehr zielführend zur Ermittlung des Wähler-Willens. Über einen nicht bekannten Punkt kann man halt schlecht abstimmen.

Die Frage, wieviel Überwachung wir haben wollen, wie diese konkret auszugestalten sei und wie jene unabhängig kontrolliert werden sollte, ist sicherlich eine wichtige Frage, die derzeit auch augenscheinlich auf dem Tisch liegt. Vorher wäre aber ein anderes Problem – keine Frage – zu lösen: Nämlich das Problem von Geheiminformationen und Geheimgesetzgebung. Ob wir so etwas wollen, darf eigentlich keine Frage sein, denn es läßt sich mit Nachdruck die Aussage aufstellen: Es ist (auf Dauer) keine Demokratie möglich in einem Staat mit Geheimgesetzgebung.

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