Wie weit sind wir von videorealistischer Grafik entfernt?

Samstag, 17. Dezember 2011
 / von Leonidas
 

Eine sehr interessante Diskussion entspannt sich gerade in unserem Forum über die Frage, wann wir eine "fotorealistische Grafik" erreichen werden. Schließlich hatte sich gerade in der Zeit von anno 1995 bis vielleicht zum Jahr 2007 (Crysis) wirklich viel in kurzer Zeit getan, danach verlangsamte sich die Entwicklung jedoch deutlich. Kurz vor dem Jahr 2012 sind wir gerade einmal auf dem Stand, daß die Crysis-Grafik aus dem Jahr 2007 nun von einer größeren Anzahl an Spielen des Jahr 2011 geboten wird – ohne aber das es deswegen einen neuen, klaren Optik-Spitzenreiter gibt, der alles andere in den Schatten stellt und den Weg klar nach vorn weist.

Quake (1996)
Quake (1996)MobyGames)
Half-Life (1998)
Half-Life (1998)MobyGames)

Natürlich ist der Begriff "fotorealistische Grafik" etwas mißverständlich, denn unter einer fotorealistischen Grafik kann man auch verstehen, daß ein Screenshot nur halt wie nach einem Foto aussehen muß – was durchaus bei einigen der heutigen Spiele schon annähernd erreicht wird. In aller Regel geht es bei solcherart Diskussionen aber darum, daß nicht nur Screenshots absolut realistisch wirken sollen, sondern vielmehr ganze Spielsequenzen in allen Feinheiten – weswegen wir nachfolgend auch den klareren Begriff der "videorealistischen Grafik" verwenden wollen.

Half-Life 2 (2004)
Half-Life 2 (2004)MobyGames)
Far Cry (2004)
Far Cry (2004)MobyGames)

Es geht bei "videorealistischer Grafik" um die wahrgenommene Echtheit in Bewegtszenen – dies setzt nicht nur realistische Texturen, Modelle und Animationen voraus, sondern auch viele kleine Dinge, welche bei heutiger Grafik aus Performance- und Kostengründen niemals geboten werden: Kleidung darf nicht zu einem Körpermodell gehören, sondern muß ein eigenständiges Modell bilden, welches physikalische korrekt mit dem Körpermodell agiert. Wirklich jedes Element des Spielfeldes muß realistisch auf Aktionen reagieren – dies sind Fußspuren im Schnee, umgeknickte Zweige im Dschungel, hier fließt auch die realistische Zerstörbarkeit aller Spielelemente mit ein. Natürlich kommt noch eine realistische Beleuchtung als sehr bedeutsame Grundvoraussetzung hinzu – und dann wie gesagt viele kleine Dinge, die man nicht sofort wahrnimmt, wenn man nur nach Fotorealismus Ausschau hält, die aber wichtig für einen Videorealismus sind.

Crysis (2007)
Crysis (2007)MobyGames)
Battlefield 3 (2011)
Battlefield 3 (2011)MobyGames)

Wenn man hochrechnet, was man hierzu alles aufbieten müsste, und dann auch noch den Effekt hinzuzieht, daß eine nahezu realistische Grafik vom Zuschauer trotzdem noch als "unrealistisch" angesehen wird ( der Uncanny-Valley-Effekt), dann fliegen sicherlich alle früheren Prognosen über den Haufen, welche zur Jahrtausendwende eine fotorealistische Grafik in Spielen schon zum Jahre 2015 prophezeit haben. Man kann eher in die Richtung des anderen Extrems gehen und fragen, ob wir jemals in absehbarer Zeit eine videorealistische Grafik erreichen können – einfach weil der Aufwand dafür zu groß sein könnte, jedes Blatt noch einzeln zu designen und zu animieren, damit es sich von den zehntausenden anderen Blättern in einer (vielleicht nur ein paar Sekunden zu sehenden) Spielszene auch unterscheidet.

Als weiterer bremsender Punkt kommt hier natürlich die Verlangsamung der Hardware-Entwicklung hinzu. Man grob sagen, daß eine neue Fertigungsstufe (Vollnode wie zwischen 40nm und 28nm) samt der üblichen Architektur-Verbesserungen über die Zeit eine grobe Verdopplung der Performance ermöglicht. Problematischerweise liegen nunmehr zwischen zwei vollen Fertigungsstufen inzwischen zweieinhalb Jahre Zeit, was deutlich langsamer ist als gerade zu den Anfangszeiten der 3D-Entwicklung um die Jahrtausendwende herum. Zudem ist absehbar, daß sich die Entwicklungsgeschwindigkeit aufgrund der Zunahme der Abstände zwischen den Fertigungsschritten weiter verringern wird. Mit der Zeit können sich dabei riesige Unterschiede bei der verfügbaren Rechenleistung ergeben: Würde eine volle Fertigungsstufe weiterhin durchgehend nur zwei Jahre benötigen, könnte man im Jahr 2030 über die glatt 1024fache Rechenleistung verfügen.

Setzt man dagegen zweieinhalb Jahre pro Fertigungsschritt an und kalkuliert eine Verlängerung auf drei Jahre ab dem Jahr 2022 ein, so steht im Jahr 2031 nur die 256fache Rechenleistung gegenüber heute zur Verfügung. Die 256fache (oder 1024fache) Rechenleistung innerhalb von 19 Jahren klingt zwar immer noch nach viel, ist aber ein Witz im Vergleich der 3D-Beschleuniger des Jahres 2011 mit beispielsweise den 3D-Beschleunigern des Jahres 1999 (GeForce1-Generation) – diese sind zwar nicht direkt vergleichbar, aber ganz grob kann man von der 3000fachen Rechenleistung innerhalb dieser zwölf Jahre ausgehen (noch ohne Einrechnung von Architekturverbesserungen). Es könnte also durchaus zu der Situation kommen, daß es in absehbarer Zeit allein schon an der Rechenleistung fehlt, um all die Details zu animieren, welche heutzutage nur statische Nebenelemente sind, die jedoch zu einem realistischen Gesamteindruck noch fehlen.

Am Ende dürfte es aber zuerst eine Frage der Kosten sein: Die Erzeugung von derart hochwertigem Content, daß dieser durchgehend als realistisch wahrgenommen wird, ist einfach in dieser Masse weit zu kostspielig – und wird auch nicht billiger werden, da dieser Content (Texturen, Modelle, Animationen) nach wie vor meistens von Menschen in Handarbeit erzeugt wird. Erst wenn sich hier bedeutsame technische Durchbrüche ergeben, welche die Contenterstellung automatisieren können, kann es überhaupt in Richtung videorealistischer Spielegrafik gehen. Selbst dann dürfte es für eine gewisse Zeit aber dennoch ein Kostenproblem sein, jedes Blatt einzeln zu animieren – dies wäre aber mit der Zunahme der Rechenleistung über die Zeit irgendwann doch ein lösbares Problem. Es bleibt natürlich offen, ob es überhaupt diesen technischen Durchbruch geben wird, welcher eine automatisierte Contenterstellung ermöglicht – dafür gibt es überhaupt keine Gewähr.

Am Ende könnte es sein, daß sich die ganze Idee des Videorealismus dann durch gänzlich andere Entwicklungen überholt. Denkbar ist beispielsweise, daß innerhalb der nächsten Dekaden die Holographie-Technik ihren Durchbruch erlebt. Dann dürfte sich das Interesse zuerst in die Richtung hin verlagern, Spiele mit dieser Technologie anzubieten – die Verbesserung der reinen Grafikqualität wäre damit zum Nebenthema degradiert. Aufgrund der langen Zeiträume, welche es voraussichtlich noch zum Videorealismus benötigt, ist vieles denkbar, was der Entwicklung letztlich eine ganz andere Richtung gibt – natürlich auch eine solche Entwicklung, welche Videorealismus durch irgendeine technische Innovation dann doch innerhalb kurzer Zeit möglich macht.

Nachtrag vom 25. Dezember 2011

Die Umfrage der letzten Woche drehte sich um eine Frage, die sich aus einem der letzten Artikel ergab: Wie weit sind wir von videorealistischer Grafik entfernt?. Hierbei gab es eine ziemliche Aufteilung der Stimmen der Umfrage-Teilnehmer auf die vier möglichen Antwortoptionen – mit allerdings einer gewissen Tendenz hin zu eher einer mittelfristigen Lösung dieses Problems. Denn immerhin zwei Drittel der Umfrage-Teilnehmer stimmten für "Videorealität in 10 bis 15 Jahren" (36,8%) bzw. "Videorealität in 15 bis 25 Jahren" (29,4%), die Optimisten sind also in dieser Umfrage in einer deutlichen Mehrheit. Die Pessimisten teilen sich dann auf in 14,2 Prozent Stimmenanteil für "Videorealität in 25 bis 40 Jahren" sowie immerhin 19,6 Prozent Stimmenanteil für "Videorealität in absehbarer Zeit unerreichbar" – womit wie gesagt jede Antwort-Option auf einen beachtbaren Stimmenanteil kam.

 Wie weit sind wir von videorealistischer Grafik entfernt?