Der Fall Kaschgari und das Versagen von Facebook

Ein gewisses Medienecho erzeugt derzeit der Fall des saudi-arabischen Bloggers Hamsa Kaschgari, welcher auf Twitter ein paar abweichende, aber keinesfalls schmähende oder zweifelnde Ansichten über den islamischen Propheten Mohammed von sich gegeben hat, damit einen Sturm der Entrüstung in der arabischen Welt ausgelöst hat, deswegen nach Malaysia floh, von den malaysischen Behörden jedoch festgehalten wurde und nun zurück nach Saudi-Arabien überstellt werden soll, wo ihm (nicht nur theoretisch) die Todesstrafe droht. So weit, so (leider) normal in der realen Welt.

Unklar ist es jedoch, wie es zu der Situation kommen kann, daß laut dem Spiegel innerhalb nur weniger Tage eine Facebook-Gruppe mit über 25.000 Teilnehmern existiert, welche die "Bestrafung" von Hamsa Kaschgari fordert – was in diesem Fall nur eine schlecht versteckte Vertuschung der Forderung nach der Todesstrafe darstellt. Dabei ist es ziemlich irrelevant, ob sich Hamsa Kaschgari wirklich nach den Gesetzen von Saudi-Arabien der Religionslästerung schuldig gemacht hat – gerade nicht für Facebook, die sich ja gern auf ihren US-amerikanischen Standort zurückziehen und demzufolge nur US-Gesetze als maßgültig ansehen. Innerhalb dieser gibt es überaus klare Aussagen zur Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und zum Schutz vor Diskrimierung deswegen – und im Zweifelsfall steht über dem allen noch die unwiderrufliche allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Um das also klar zu sagen: So eine Gruppe gehört umgehend von Facebook entfernt und Facebook sollte eher darüber nachdenken, die Teilnehmer dieser Gruppe mit einem lebenslangen Facebook-Bann zu belegen – weil einfach ungeeignet für die menschliche Gesellschaft. Nur um die rechtliche Einordnung mal klarer zu machen: In Deutschland würde eine solche Webseite – wäre sie einzeln und nicht im Verbund auf Facebook – ein ziemlich klarer Fall für eine Indizierung sein, weil überaus klar zu religiöser Intoleranz und zur "Bestrafung" Andersdenkender aufgerufen wird.

Die Frage an Facebook ist nun: Warum wird hier nichts getan? Und weil eben (noch) nicht getan wurde, ergeht gleich die nächste Frage: Ist das also das Geschäftsmodell von Facebook – den Leuten Raum zu geben, um einen Lynchmob zu bilden? War es nicht der hehre Gedanke von Facebook und der aller sozialen Netzwerke, die Menschen näher an einander heranzuführen?! Wieviel Wert hat der Gedanke eines sozialen Netzwerkes, wenn jener dazu ausgenutzt wird, daß sich nicht nur Piranha-Angler, Schraubensammler und Jeremy-Lin-Fans auf aller Welt zusammenfinden, sondern daß sich auch Gruppen bilden können, wo Todesstrafen für einen faktisch unbescholtenen Blogger gefordert werden dürfen?

Natürlich kann sich Facebook an dieser Stelle darauf zurückziehen, daß Hamsa Kaschgari nicht wirklich vor einen Lynchmob kommt, sondern vor ein ordentliches saudi-arabisches Gericht gestellt wird – und genauso, daß die Nutzer dieser genannten Facebook-Gruppe sehr grob gesehen auch nichts anderes fordern. Facebook kann sich durchaus darauf zurückziehen, nur neutrale Plattform sein zu wollen, nur die Gesetzes des jeweiligen Landes zu achten – und ansonsten nur im Rahmen der eigenen Nutzungsbestimmungen zu operieren.

Doch dann geht die Frage an den westlichen Facebook-Nutzer weiter: Ist es das, was man durch seine eigene Facebook-Teilnahme unterstützen will? Will man Facebook wirklich als Plattform für den Lynchmob weiter unterstützen? Als Plattform, wo religiöse Intoleranz schon bei der minimalsten Abweichung offen in Form von (wirklich ernst gemeinten) Todesforderungen propagandiert werden kann? Sicherlich sehen die westlichen Facebook-Nutzer davon im Großteil nichts – und wenn, dann ist es in arabisch und man kann es sowieso nicht lesen. Aber dennoch: Will man Teil derselben Community sein, wo so etwas möglich ist? Will man wirklich Teil einer Community sein, die so einen solchen Fall nicht umgehend zum Tagesgespräch macht, weil das Posten von Statusmeldungen über die letzte gehörte MP3 wichtiger ist?!

Meiner Meinung nach wäre Facebook gut daran beraten, hier schnellstmöglich den schon angerichteten Schaden zu begrenzen, eine Grenzlinie zu ziehen und sich klar zugunsten von Meinungs- und Religionsfreiheit zu positionieren. Und für alle anderen sozialen Netzwerke und ähnliche Strukturen ist dies ein Fall, wo man viele Lehren daraus ziehen kann – wo man seine Linien zieht und wo man eventuell schon vorab entsprechende Regeln aufstellt, um einen solchen Fall gar nicht erst zuzulassen oder wenigstens nicht eskalieren zu lassen.

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