Kolumne: Wo ist der Spielspaß abgeblieben?

Montag, 28. September 2009
 / von Leonidas
 

Die Aussage, daß heutzutage nur noch Mist produziert wird und früher doch alles besser war, ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selber und wird eigentlich durchgehend auf alles verwandt – so natürlich auch auf die Entwicklung bei Computerspielen, wo nach Meinung vieler Spieler heutzutage nur noch formelhafte Titel entwickelt werden, welche jeglichen Neuheitsgehalt und damit Spannung und Atmosphäre vermissen lassen. Und natürlich stimmt diese Aussage immer nur zum Teil, da gern der "Schrott" aus vergangenen Zeiten vergessen und sich nur noch an die interessanten Titel erinnert wird, genauso auch wie die großartigen technischen Fortschritte der letzten Jahre gleich als selbstverständlich angenommen werden.

Und dennoch haben solche Aussagen zumeist einen wahren Kern, beschreiben sie doch eine praktische Beobachtung: Ja, es ist richtig, daß uns derzeit kaum noch Spiele richtig vom Hocker reißen und genauso auch ist richtig, daß die Spieleentwickler lieber auf die vierte ausgelutschte Fortsetzung mit großem Budget setzen als auf drei kleine neue Ideen mit kleinerem Budget. Doch für beides gibt es Begründungen: Daß es die Spieleentwickler lieber mit Fortsetzungen probieren, hängt einfach an deren kalkulierbaren Risiko bzw. dem nahezu sicher einzufahrbaren Gewinn bei einem halbwegs guten Spiel. Und daß es kaum noch die bahnbrechenden Kracher gibt, hängt maßgeblich daran, daß die Computerspieleindustrie aus ihren Anfangsjahren heraus ist und damit die meisten bahnbrechenden Entwicklungen schon gemacht sind – und daß man so etwas nicht beliebig wiederholen kann.

Beispielsweise den Effekt, ein vorher mit Klötzengrafik bekanntes Spiel zum ersten mal Hardware-beschleunigt und mit sauberen Texturen zu sehen (beim Verfasser war dies Forsaken Ende der 90er), wird man nur einmal erleben – alle Aha-Erlebnise bezüglich einer besseren Grafik werden danach immer kleiner ausfallen, weil nichts vergleichbar ist mit diesem ersten großen Schritt. Bezogen direkt auf Spieleideen bedeutet dies: Der erste Egoshooter und die erste Echtzeitstrategie haben sich unauslöschbar in unsere Synapsen gebrannt und sind bezüglich des Neuheitswert von nichts zu schlagen, was jetzt oder später jemals erscheinen wird. So etwas – regelrecht neue Genres und totale Aha-Erlebnisse bezüglich Grafik oder/und Spielprinzip – zu fordern, ist heutzutage übertrieben: Auch die Spielebranche kann nicht jedes Jahr das Rad gänzlich neu erfinden – daß die Entwicklungsschritte also kleiner geworden sind und kleiner werden, ist der Lauf der Welt und keine böse Absicht.

Und dennoch erstaunt es, wenn sich am Markt Spieleproduktionen mit teilweise hohem Budget einfinden, welche trotz der inzwischen angesammelten Erfahrung der Entwickler gerade in vielen einfachen Punkten patzen. Teilweise ist nicht einmal das Problem, daß ein Spiel keine neuen Ideen mitbringt – sondern daß die alten Ideen schwach umgesetzt wurden. Und das ist dann schon ein sehr erstaunlicher Punkt: Ganz offenbar wissen einige Spieleentwickler nicht, weshalb ihre früheren Titel funktioniert haben – und wissen daher auch nicht, was man unbedingt in Nachfolgeprojekte übernehmen muß, um auch den Spielspaß mit zu übernehmen. Oder kurz formuliert: Einige Spieleentwickler scheinen schlicht nicht zu wissen, was wirklich "cool" in ihren Spielen ist.

Dies muß natürlich mit Beispielen untermauert werden – nichts leichter als das:

  • Das neue Wolfenstein ist ein nahezu perfektes Beispiel dafür, wie man genau die falschen Teile des Vorgängers verstärkt und die "richtigen" Teile vergisst: Denn wenn die Wolfenstein-Serie für etwas steht, dann daß man da herzlich Nazis abballern darf – wenn diese saloppe Wortwahl einmal gestattet sei. Demzufolge waren schon die Okkultismus-Teile in Return to Castle Wolfenstein eher störendes Beiwerk, was aber im Sinne der alles begleitenden Story noch verschmerzbar war. Im neuen Wolfenstein ist dies nun aber der Hauptteil, die Nazi-Soldaten sind dagegen zum Kanonenfutter degradiert, welches auch nur in Anfangsleveln verstärkt auftritt. Man hat damit der Spielserie zum einen ihre Identität genommen und sie zum anderen um des Spaßfaktors beraubt – nun ist Wolfenstein ein x-beliebiger Shooter geworden, welcher noch nicht einmal besonders gut gelungen ist. Sicherlich hätte man mit einer gradlinigen Fortsetzung mit vielen Nazis und viel Ballerei nichts in Richtung "neue Ideen" getan, aber womöglich hätte man ein Spiel geschaffen, welches wirklich Spaß machen kann.
  • Die Need-for-Speed-Serie hatte mit "Most Wanted" ihren großen Höhepunkt – es war in der Tat cool, mit herrlichen Sportwagen und unter schönen Kulissen sich mit der Polizei rassige Verfolgungsjagden zu liefern. Schon mit dem Nachfolger "Carbon" wurde faktisch alles abgeschafft, was im Vorgängerteil noch funktioniert hat: Alles bei Nacht, womit die Optik von Kulissen und eigenem Auto ziemlich egal wurden – und ganz ohne Polizei, es waren reine Straßenrennen. Sicherlich hat auch so ein Spiel sein Publikum, aber dennoch muß die Frage erlaubt werden, wie man darauf kommen kann, gerade die herausragenden Pluspunkte eines Vorgängerspiels im Nachfolger so konsequent abzuschaffen. Bei der Need-for-Speed-Serie ist dies inzwischen ja so weit gegangen, daß nachfolgende ähnlich lauwarme Fortsetzungen die Verkaufszahlen der Spieleserie erheblich in den Keller gedrückt haben – der Markt bestraft sicherlich nicht umgehend für ein schlechtes Produkt, aber langfristig in jedem Fall. Und bis heute ist der Spieleentwickler nicht auf die Idee gekommen, mit einem der Nachfolger das Spielprinzip von "Most Wanted" neu aufzulegen. Damit käme sicherlich kaum eine bahnbrechende Spielidee heraus – gekauft und lange gespielt werden würde es aber.
  • Sehr störend haben viele Spieler von Far Cry 2 empfunden, daß man immer von einem Missionsauftraggeber einen recht langen Weg zum Missionsort quer durch die Pampa zurücklegen musste – und dabei auch noch von allen Seiten und durch ständig respawnende Kontrollposten beschossen wurde. Dies mag am Anfang noch spannend sein, aber im Laufe des Spiels wurde dies eher lästig und man versucht nur noch, auf dem unkompliziertesten Weg zum Missionort zu gelangen, auch wenn dies deutliche Umwege und damit sinnloses Herumkurven in der Pampa bedeutete. Einfacher Gegenvorschlag: Mittels eines mietbaren Helikopters könnte man ohne Umwege von A nach B gelangen, zudem wäre in der Vogelperspektive die wirklich gelunge Grafik des Spiels und das ebenfalls gut herübergekommene Afrika-Feeling nochmals besser zur Geltung gekommen. Und diejenigen Spieler, welche die Feuergefechte mit den einzelnen Kontrollposten mögen, hätten diese ja weiterhin haben können – somit wäre jeder Spielertyp zufriedengestellt worden.
  • Eine allgemeine Beobachtung in Shooterspielen ist es, daß die Spieleentwickler beim Thema Waffensounds generell und ohne Nachzudenken Realismus vor Spielspaß stellen – obwohl ein Computerspiel eigentlich per Defition nichts mit Realität, aber sehr viel mit Spielspaß zu tun hat. So klingen die Waffen in mittlerweile den allermeisten Shooterspielen nur noch wie Luft- oder Plastikgewehre – es gibt einfach keinen richtig guten "Bumms" mehr! Beispiele sind hier die MP40 aus Wolfenstein oder auch die meisten Sturmgewehre aus Call of Duty: Modern Warfare, welche sich einfach nicht nach richtigem Schiesseisen anhören. Und dabei spielt es im Sinne des Spielspaßes wohl keine große Rolle, ob der gebotene Sound möglicherweise sogar der Realität entspricht – wenn es nicht richtig Krach macht, fehlt ein erheblicher Teil des Gesamtwerkes. Als Gegenbeispiel sei mal die Schrotflinte aus Duke Nukem 3D (kürzlich mittels des eDuke-Windowsports und des HighRes-Texturenpacks neu probiert – sehr zu empfehlen) zu erwähnen: Auch heute noch klingt diese Schrotflinte absolut kernig und damit furchteinflössend – so wie es sein sollte. Viele andere Spiele mit Schrotflinten-Sounds klingen dagegen eher nach "Holzgewehr", was den Spielspaß total ruiniert. Vielleicht mal für die Spieleentwickler zum Hinter-die-Ohren-Schreiben: Der Verfasser dieser Kolumne sucht sich in Shooterspielen die bevorzugte Waffe ganz maßgeblich nach dem Waffensound aus – und ist dementsprechend enttäuscht, wenn es diese Waffe nur selten gibt oder wenn diese nicht für alle Aufgaben benutzbar ist.
  • Crysis ist ein ganz markanter Punkt: Das Spiel wird in seiner Auslieferungsversion von vielen Spielern als bessere Technikdemo angesehen, welches aber den Spielspaß oft vermissen läßt. Dazu mögen sicherlich viele Punkte des Spiels beitragen – aber manche kann man auch überwinden und das Spiel somit deutlich besser machen. So sei zuerst empfohlen, durch Tweaks in den Konfigurationsdateien des Spiels die koreanische Sprache der nordkoreanischen Soldaten auch für die anderen Schwierigkeitsstufen neben der höchsten zu aktivieren. Es macht nämlich einen Heidenspaß, anstatt dem standardmäßigen englischsprachigen Soldatengebrüll den Nordkoreanern dabei zuzuhören, wie diese einem Beleidigungen und Kampfansagen auf koreanisch an den Kopf werfen – das bringt die richtige Atmosphäre und erst dadurch werden die nordkoreanischen Truppen wirklich glaubwürdig. Und desweiterem sei Ryujin's Damage Mod empfohlen, welcher – wie es der Name schon verrät – eine realistische Waffenwirkung ins Spiel einbringt. Dieser sorgt dann dafür, daß man nicht mehr auf 15 Meter Entfernung ein halbes Magazin in einen Gegner pumpen muß, ehe dieser umkippt – was in einem solchen auf Realismus angelegtem Spiel jeglichen Spielspaß abtötet. Zudem ergibt sich damit nebenbei auch eine deutlich gesteigerte Nutzbarkeit des Tarnmodus der Crysis-Nanosuit: Jetzt kann man sogar inmitten einer Gegnerhorde herumkrauchen und diese Gegner einzeln aus der Deckung des Tarnmodus heraus umnieten – gezielter Schuß und zurück in den Tarnmodus werden schließlich erst dann möglich, wenn ein einzelner gezielter Schuss auch ausreichend ist. Beide Änderungen zusammen wirken absolut erstaunlich: Aus Crysis wird fast ein neues Spiel, da die taktische Herangehensweise an die einzelnen Aufgaben nun völlig anders abläuft als vorher. Aber vor allem steigt der Spielspaß ganz erheblich – aus praktischer Erfahrung kann der Verfasser dieser Kolume sagen, daß das zweite Durchspielen mit diesen Änderungen viel lustiger war als das erste Durchspielen mit dem Original-Spiel, obwohl beim zweiten Mal schließlich der Neuheitswert fehlte.

Gerade dieser Fall zeigt doch, daß es geht und daß oftmals keine weltbewegenden Änderungen am Spiel notwendig sind, um diesen den Spielspaß zu geben. Ganz offensichtlich bekommen es die Spieleentwickler oftmals aber nicht gebacken, ihren Spielen wirklichen Spielspaß einzuimpfen. Dies mag möglicherweise daran liegen, daß man nach einer langen Entwicklungszeit faktisch betriebsblind gegenüber dem eigenen Produkt ist, manchmal ist auch schon der konzeptionelle Ansatz gänzlich falsch.

In jedem Fall liegt hier ein vermeidbarer Fehleransatz vor – welcher zukünftig von den Spieleentwickler auch vermieden werden sollte. Diese müssen sich mehr darum kümmern, daß das Endprodukt auch wirklich Spaß macht – ein Punkt, welcher sich aus keiner noch so guten Vorkonzeption automatisch ergibt. Vielmehr darf sogar gelten, daß das konzeptionell vielversprechendste Spiel durch einfache Fehler keinen Spielspaß bringen kann, während eine klug durchgezogene Durchschnittsware ohne besonderen Neuheitswert mit den richtigen Kniffen ein großartiger Spielspaß-Kracher sein kann.

Gebraucht werden bei den Spieleentwicklern also Mittel, Wege und Personen, um die Entwicklung eines Spiels ab der Ausarbeitung eines konkreten Spielkonzepts bis hin zum Finalisieren der Gold-Version immer wieder unter dem Blickwinkel des Spielspaßes gegenzuprüfen. Hierfür wird man natürlich auch erst einmal jede Menge an Datenmaterial benötigt, an Hand dessen man eine solide Wissensbasis erhält, welche einzelnen Features vergangener Spiele bei den Spielern angekommen sind und welche nicht. Je mehr Daten man hierzu zusammenträgt und je genauer diese sind, um so einfacher sind dann banale Fehler bezüglich des Spielspaßes zu vermeiden – und dies ohne größere Zusatzkosten bei der Spielentwicklung.

Letztlich ist es damit machbar, das nahezu optimale aus jedem Spielkonzept herauszuholen – selbst aus diesen Spielkonzepten, welche nicht besonders originell sind. Der Verfasser dieser Zeilen würde sich jedenfalls – aus seiner subjektiven Sicht – sehr freuen über mehr Shooterspiele, wo einfach das herzliche Ballern im Vordergrund steht und mehr Autorennspiele, wo der Spaß am Rasen erlebbar ist. Es geht für die Spieleentwickler ergo darum, daß zuerst einmal die Basics richtig gut umgesetzt werden – was absolut machbar ist, wenn man das Problem erst einmal akzeptiert und dann konsequent daran arbeitet.