Un-Journalismus: "Mehr Grafikkarten verkauft"

Die letzte Woche gab es neue Zahlen zum Grafikchip-Markt, basierend wie üblich auf Erhebungen seitens der Marktbeobachter von Jon Peddie Research. Ausgelöst dadurch, dass die erste Meldung hierzu regelmäßig den gesamten GPU-Markt betrifft, inklusive also der Stückzahlen-mäßig dominierenden iGPUs, kam es dabei auch zu einigen Fehldarstellungen der internationalen IT-Presse. Denn aus eben dieser ersten Meldung (veröffentlicht am 28. August, die kompletten Zahlen ergaben sich erst einen Tag später) konnte man keineswegs auf einen wirklichen Aufschwung beim Grafikkarten-Verkauf schlußfolgern. Im genauen wurde jener sogar mit +2,9% explizit angegeben, viele IT-Magazine ließen sich jedoch von der JPR-Schlagzeile inspirieren, welche +11,6% mehr GPUs angab.

"Gamers are finally buying new graphics cards again"
 
"The Graphics Card Market Shows Signs of Recovery with Increased Shipments in Q2"
 
"More and more graphics cards are being sold"
 
Quellen: Schlagzeilen diverser Web-Magazine in der letzten August-Woche

Die Zahl selber ist natürlich korrekt, gilt allerdings nicht für Grafikkarten, sondern für alle GPUs – sprich inklusive mobile Grafiklösungen sowie den wie gesagt Stückzahlen-mäßig dominierenden integrierten Grafiklösungen (regelmäßig bei ca. 80% des GPU-Gesamtmarkts). Und natürlich sind auch +2,9% (die Zahl des tatsächlichen Grafikkarten-Zuwachses gegenüber dem Vorquartal) technisch gesehen ein Aufschwung, aber angesichts der geringen Höhe des Zugewinns verbieten sich hierzu irgendwelche frohlockenden oder betonenden Adjektive. Im Endeffekt haben diese IT-Magazine ihren Lesern hier mit der Zahl von +11,6% vorgemacht, es würden deutlich mehr Grafikkarten verkauft. Bei den obigen Beispielen steht dies bereits in der Schlagzeile, bei anderen Magazinen ist wenigstens die Schlagzeile (technisch) korrekt, ergibt sich allerdings aus dem weiteren Text derselbe falsche Eindruck.

Doch jene +11,6% beziehen sich eben auf den gesamten GPU-Markt, welcher von Gerätschaften (massiv) dominiert wird, welche keine Grafikkarten sind. Konkret betrug der Anteil von Desktop-Grafikkarten am GPU-Gesamtmarkt im Q2/2023 gerade einmal ein Zehntel (10,5%), was zudem keine untypische Größenordnung darstellt. Somit verbietet es sich ganz automatisch, aus dem Stückzahlen-Zuwachs des GPU-Gesamtmarkts auf den Stückzahlen-Zuwachs bei reinen Desktop-Grafikkarten zu schlußfolgern – schon ganz unabhängig davon, wie die reale Zahl bei Desktop-Grafikkarten aussieht. Denn was nur einen Anteil von gut 10% vom Gesamtmarkt hält, kann sich schon rein mathematisch komplett anders entwickeln als der Gesamtmarkt, ohne auf jenen einen besonderen Einfluß zu nehmen. Das zweite Quartal 2023 ist hierfür ein perfektes Beispiel, denn in diesem bewegte sich der Absatz an Grafikchips für Desktop-Grafikkarten wie gesagt nur um +2,9% vorwärts:

Q1→Q2 Volumen Q2/2023
dGPU Desktop  (= Desktop-Grafikkarten) +2,9% 6,44 Mio. Stück  (10,5%)
dGPUs Mobile +14% ~6,3 Mio Stück  (10,2%)
dGPU insgesamt +8% 12,74 Mio. Stück  (20,7%)
iGPUs +13% 48,82 Mio. Stück  (79,3%)
alle PC-GPUs +12% 61,56 Mio. Stück  (100%)

Natürlich könnte man auch ausgehend von jenen +2,9% eine Grafikkarten-Verkaufssteigerung vermelden, wenn auch eine eher minimale. Aber das haben die meisten IT-Magazine nicht getan (selbstverständlich gibt es wohltuende Ausnahmen), sondern sich vielmehr zumeist auf jene +11,6% vom gesamten GPU-Markt bezogen. Nur sind das eben in der (weiten) Mehrzahl keine Grafikkarten, noch nicht einmal extra Grafikchips – sondern in Prozessoren integrierte Grafikeinheiten, welche oftmals nur für Display-Aufgaben verwendet werden, nicht hingegen zur 3D-Beschleunigung. Insbesondere Aussagen wie, dass "Gamer" nun mehr "Gamer-Grafikkarten" kaufen, ist auf Basis dieser Zahlen sinngemäß aus der Luft gegriffen. Der Markt für Gamer-Grafikkarten hat sich vielmehr nicht wirklich verbessert, sondern liegt auch im zweiten Quartal weiterhin in einem unnatürlichen Tief mit nur 6,44 Millionen abgesetzten Desktop-Grafikchips.

Hier haben viele IT-Magazine mit ihrer Berichterstattung massiv daneben gegriffen und einen völlig faschen Eindruck der Lage erzeugt – welcher nun auch noch dadurch verstärkt wird, dass Google diese Fehl-Nachrichten gemäß der "Reputation" dieser IT-Magazine auf der ersten Seite listet. Sehr oft wird dabei technisch gesehen korrekt nur von "GPUs" gesprochen, aber dennoch der Eindruck erweckt, es würde sich hierbei irgendwie um Grafikkarten handeln – welche jedoch nur eine kleine Minderheit an diesem Oberbegriff halten. All dies wäre nicht weiter schlimm, wenn es ein Einzelfall wäre. Aber es wiederholt sich jedes Quartal erneut bei diesen Marktstands-Meldungen seitens "Jon Peddie Research", wo immer die erste Meldung zum Gesamtmarkt groß aufs Tableau gehoben wird und die zweite nur zu Desktop-Grafikkarten fast durchgehend ignoriert wird.

Die "Fachpresse" vermeldet somit die für Gamer unrelevanten Zahlen und verschmäht die für Gamer eigentlich relevanten Zahlen – nur weil es wichtiger ist, die erste, große Schlagzeile zu machen und gleichzeitig wenig geschäftsträchtig, das Thema nur ein paar Tage später nochmals aufzukochen, egal ob es dann die wirklich interessanten Zahlen gibt. Anders formuliert: Schlagzeile vor Korrektheit und Relevanz der Information. Der Fall mag sicherlich keine ganz große Bedeutung für die IT-Presse haben, es gibt zu dieser Thematik wohl auch andere, wesentlich größere Fehlleistungen. Allerdings tritt dieser Fall periodisch immer wieder auf, ist somit ein jedes Quartal erneut live nachvollziehbares Exemplarbeispiel für die Fehlanreize, welche die Aufmerksamkeits-Ökonomie dem Journalismus gibt.

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