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Der Wandel weg vom freien PC hin zum unfreien App-Modell

Auf Technology Review gibt es einen lesenswerten Artikel eines Harvard-Professors (mit jetzt schon umfangreicher Diskussion in unserem Forum), welcher den Wandel in der IT-Landschaft weg vom freien PC hin zum unfreien App-Modell beleuchtet und von den Nerds fordert, mehr auf ihre Rechte zu pochen, um diese Entwicklungs einzudämmen. Einmal abgesehen von der durchaus richtigen Einschätzung, daß die schöne neue App-Welt eigentlich nur viele Einschränkungen mit sich bringt, ist die Schlußfolgerung, daß es die Nerds und andere digitale Vorreiter nun richten sollen, wahrscheinlich nicht zielführend. Denn wenn sich ein was zur IT-Landschaft der letzten fünf Jahre – dem Facebook-Zeitalter sozusagen – feststellen läßt, dann daß, das all die neuen Plattformen und Geschäftsmodelle dieses Zeitalters vom Normalnutzer vorangetrieben wurden – und nicht mehr von der digitalen Elite, wie noch zu den Anfangstagen des Internets in den 90er Jahren.

Dies läßt sich gerade am Beispiel Facebook festmachen: So etwas wie die persönliche Pinwand gab es schon vor 15 Jahren über solche Dienste wie GeoCities – sicherlich nicht gleich zu Facebook und ganz gewiß nicht so ausgefeilt, aber dennoch schon in dieselbe Richtung gehend. Seinerzeit sind alle diese Projekte aber am Ende gescheitert – weil das Netz damals von Early Adoptern bevölkert war, die mehrheitlich ihre persönliche Freiheit hochhielten und daher ein Projekt wie GeoCities nie den bedenkenlosen Zuspruch bekam, wie es bei Facebook letztlich zum durchschlagenden Erfolg geführt hat. Facebook traf aber eben auch auf eine gänzlich andere Netzgemeinde: Es war inzwischen der Normalbürger (in großer Masse) im Web angekommen und inzwischen ausreichend selbst IT-bewandert, um nicht mehr auf die Hilfe der früheren Early Adoptern angewiesen zu sein.

Und gerade aufgrund des Massenunterschieds zwischen den Nerds & Geeks und den Normalsurfern (in der westlichen Welt sicherlich 1:20, im Rest der Welt eher 1:1000) veränderten sich die Vorzeichen, um IT-Gerätschaften und Webprojekte erfolgreich werden zu lassen: Konnte anno dazumal ein GeoCities nicht gewinnen, weil die Nutzer zumeist eher sparsam mit persönlichen Daten umgegangen sind und an eine Ausweitung des Netzwerk-Gedanken somit überhaupt nicht zu denken war, gewann Facebook vor allem dadurch, daß inzwischen genügend Publikum im Netz vorhanden war, welche mit dem Thema Datensparsamkeit keine Berühungspunkte hat oder dieses einfach negiert. Und bezogen auf das App-Thema bedeutet dies: Wurde Microsoft seinerzeit noch vor Gericht gezerrt, weil man auf dem eigenen Betriebssystem die eigenen Zusatzprogramme wie Browser, Medienplayer, etc. bevorzugte, kann sich heute ein Gerätehersteller herausnehmen, Fremdsoftware für das eigene System einfach abzulehnen – die Kundschaft kauft trotzdem wie Lemminge und wettbewerbsrechtliche Verfahren sind nicht in Sicht.

Ob man das gut oder schlecht finden mag, spielt dabei gar keine große Rolle, die entscheidende Erkenntnis ist hierbei: Das Netzpublikum hat sich deutlich verändert, die Early Adopers, Nerds, Geeks, digitale Elite – wie man es nennen mag – sind heute als Masse und selbst trotz ihrer Multiplikator-Funktion zu klein, um in irgendeiner Form groß etwas ausrichten zu können. Ausnahmen können Themen sein, wo es um Netzpolitik geht und wo keine wirtschaftlichen Interessen von Großunternehmen dagegenstehen. Einen Einfluß auf IT-Produkte und Web-Dienste haben diese ehemaligen Vorantreiber des Internets aber leider nicht mehr, deren früherer Einfluß wurde mit der Zeit von der übergroßen Masse an Normalsurfern einfach beiseite gedrängt. Damit gehen natürlich auch einige der Ideale verloren, welche das Web in den Anfangstagen auszeichnete – damit muß man sich einfach arrangieren, eine Änderung ist aufgrund des Massenunterschieds jedoch faktisch unmöglich.

Dabei muß es schließlich keinesfalls bedeuten, daß wenn der Mainstream in die eine Richtung geht, daneben kein Platz für Nischen existiert – gerade das ist ja im Web möglich, die Abdeckung auch unterschiedlichster Anforderungen & Geschmäcker. Ob es beispielsweise schade ist, wenn das App-Modell gewinnt und langfristig die meisten Computer in faktische Konsolen verwandelt, ist eher eine Frage für die Nutzer solcherart "Computer". Wer das App-Modell nicht mag, muß sich schließlich auch nicht diesem zuwenden, sondern wird auch in Zukunft in der einen oder anderen Form bedient werden. Ob man mit seinem persönlichen IT-Stil dann zum jeweiligen Zeitgeist passt oder nicht, ist doch eigentlich völlig egal – der Zeitgeist ändert sich wie der Musikgeschmack und davon sollte man sich sicherlich nicht treiben lassen. Nur der Versuch, die Netzwelt allein durch die Anstrengungen der digitalen Elite zu verbessern, wird nicht mehr funktionieren – jede Verbesserung am Netz setzt den Willen oder die Erkenntnis der Masse der Normalsurfer voraus. Die Schwierigkeit (aka Unmöglichkeit) der Aufgabe ist damit schon ausreichend beschrieben ;).