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Neues nVidia-NDA verdongelt die Fachpresse

Gemäß Heise schickt nVidia derzeit ein neues NDA (Non-Disclosure Agreement, Vertraulichkeitsvereinbarung) durch die Welt der IT-Fachpresse, welches sich im Gegensatz zu früheren NDAs weitreichende Rechte zugunsten von nVidia einräumt (und trotz Fußball-WM umgehend in unserem Forum vieldiskutiert wird). Solcherart NDAs sind im Austausch zwischen Unternehmen und Presse ziemlich üblich – zumeist wird damit garantiert, das eine bestimmte Information erst zu einem definierten Tag X (Launchtag neuer Hardware) veröffentlich werden darf. Dies ermöglicht es den Unternehmen, die entsprechenden Informationen rechtzeitig vorher an die Presse zu geben bzw. mittels Testsamples jene bei ihren Hardware-Tests zu unterstützen – ohne das beide Seiten befürchten zu müssen, das sich irgendjemand nicht an den einheitlichen Launchtermin hält (letzteres ist sogar ganz im Sinne der Presse). Davon abweichend ist das neue nVidia-NDA nicht auf eine bestimmte Information oder Hardware hin ausgerichtet, sondern soll generell und dauerhaft gelten. Als besonders bemerkenswert haben Heise die folgenden Bedingungen notiert (Heise-Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche):

  • Der Empfänger verwendet vertrauliche Informationen ausschließlich zu Gunsten von nVidia.
  • Ungeachtet des Ablaufs dieser Vereinbarung erlöschen die Verpflichtungen des Empfängers in Bezug auf jegliche vertrauliche Information fünf Jahre nach dem Datum ihrer Weitergabe an den Empfänger.
  • Der Schutz von Informationen, die ein Geschäftsgeheimnis darstellen, erlischt nie.

Die erste Bedingung liest sich maximal schlimm, ist allerdings bei genauerem Nachdenken dann doch keine Aufregung wert: Denn es geht hierbei um "vertrauliche" Informationen (im englischsprachigen Original "confidential" information). Unter diesen Begriff ordnet man im Englischen Informationen ein, welche eben nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen – im konkreten Fall sind dies also Informationen, welche nVidia an die Fachpresse gibt, damit jene ihre Berichterstattung auf einen bestimmten Tag hin vorbereiten kann. Ab diesem Veröffentlichtungstag wechselt dann allerdings der Status dieser Information von "confidential" auf "non-confidential" – und damit gilt dann vornotierte Einschränkung nicht mehr. Im genauen sagt jener Text also nur aus, das man Vorab-Informationen seitens nVidia nur zum Vorteil des Herstellers verwenden kann – was in aller Regel bedeutet, jene bis zum von nVidia gesetzten Veröffentlichungstermin nur rein intern zu nutzen. Dies entspricht grundsätzlich dem, was auch alle bisherigen NDAs bereits eingefordert haben.

Ein keines Seitenrisiko existiert an dieser Stelle aber dennoch: Sofern nVidia bestimmte Informationen zuerst als "confidential" mit dem Versprechen eine späteren Veröffentlichung an die Fachpresse herausgibt, im weiteren Verlauf von einer Veröffentlichung jedoch absieht – dann hat der Journalist natürlich die Brille auf und darf trotzdem nichts veröffentlichen. Bei den bisher üblichen zweckgebundenen NDAs existiert dieses Problematik nicht, denn jene sind zumeist derart gehalten, das ein simpler Tausch eines kompletten Informationspakets gegen die Zusicherung der Veröffentlichung nicht vor Tag X stattfindet. Alles, was der Hersteller diesem Informationspaket zuordnet, ist dann nicht mehr nachträglich als "nicht zur Veröffentlichung gedacht" umdeklarierbar. Mit dem neuen nVidia-NDA wäre diese Möglichkeit jedoch durchaus gegeben.

Als weiterhin problematisch sehen wir zudem die dritte Bedingung an: Hiermit eröffnet sich nVidia die Möglichkeit, Journalisten Informationen zu geben, welche jene dann lebenslang nicht veröffentlichen dürfen – sprich, der Presse einen sprichwörtlichen Maulkorb zu geben. Natürlich kann man nicht gerade jede Information als Geschäftsgeheimnis deklarieren, aber insbesondere bei heiklen Informationen über Vertragswerke und andere Geschäftsgebahren (wie beispielsweise zu nVidias GPP) wird deren Status als "Geschäftsgeheimnis" üblicherweise derart anerkannt. Somit könnte man theoretisch alle Informationen, die nVidia nicht veröffentlicht sehen will, einfach unter NDA als "Geschäftsgeheimnis" stellen. Man könnte dies auch ganz besonders dann tun, wenn irgendein Skandal hochzukochen anfängt – und der Presse somit die Möglichkeit nehmen, mittels belegbarer Fakten darüber zu berichten.

Und hier liegt die eigentliche Crux dieses neuen nVidia-NDAs: Jenes ist nicht zweckgebunden auf einen Termin oder eine Hardware, sondern wie gesagt generell und dauerhaft gültig. Die Presse kann also in diesem Fall vorab nicht sehen, welche Informationen man gegen die eigene Schweigepflicht eintauscht oder auch welche Information später dann wirklich veröffentlich werden darf – man unterschreibt hierbei faktisch blind und ist gemäß der zweiten Bedingung selbst nach Beendigung des NDAs noch die folgenden 5 Jahre daran gebunden. Jene Blindunterschrift mit allerdings weiterführender Wirksamkeit ergibt für nVidia natürlich den starken Anreiz, die Bedingungen des NDAs auch wirklich auszunutzen – denn hat man die Presse einmal NDA-verdongelt, lohnt sich für diese der Ausstieg doppelt nicht (Verlust des Informationszugangs zu nVidia, trotzdem wären die Bedingungen des früheren NDAs noch jahrelang einzuhalten).

Seitens Heise hat man sich dazu entschieden, jenes nVidia-NDA gar nicht erst zu unterzeichnen, da man hierbei eine ziemliche Knebelung der eigenen journalistischen Arbeit sieht – wobei wir das Argument, das die erste Bedingung zur Hofberichtstattung zugunsten von nVidia zwingt, wie gesagt nicht teilen. Stattdessen haben sich Heise zur Veröffentlichung dieses NDAs entschieden – was voraussichtlich seitens nVidia mit Liebesentzug bestraft werden wird, sprich man dürfte in Zukunft seitens nVidia ignoriert und ausgeladen werden (HardOCP kann hiervon ein Lied singen). Interessant wäre nunmehr sicherlich, wer jenes NDA dennoch unterzeichnet hat – anscheinend ist es ja standardmäßig zur IT-Presse versandt worden, im Absenderkreis dürften mehrere Dutzende bekannter Publikationen liegen. Im Gegensatz zu anderen NDAs existiert in diesem Fall offenbar keine Verschwiegensheitsklausel gegenüber dem nVidia-NDA selber, insofern kann man hierüber anscheinend durchaus öffentlich diskutieren.

Bezüglich nVidias Vorgehen weiss man dagegen kaum noch, was man schreiben soll. Sicherlich gibt es ein natürliches Herstellerinteresse, Leaks zu unterbinden – andererseits ist wegen Leaks auch noch niemand untergegangen. Mittels des neuen nVidia-NDAs ist durchaus eine erhebliche Lust an der Gängelung der Presse zu sehen – Hauptsache, nVidia hat alle rechtlichen Möglichkeiten in der Hand, egal juristischer wie ethischer Bedenken. Und das man die erste Bedingungen mißverstehen kann (und sich nachfolgend zur bewußt nVidia-freundlichen Berichterstattung gezungen sieht), könnte durchaus derart gedacht sein. Gerade deswegen erscheint es uns als unklar, wieso nVidia dieses Fettnäppchen nicht hat auslassen können – gerade nachdem die kürzliche GPP-Affäre noch nicht wirklich verdaut ist. nVidia versucht hier auf Biegen und Brechen das Bild eines rabiaten Marktführers aufzubauen, welches als Musterbeispiel für die Klassifizierung "Erfolg zu Kopfe gestiegen" dienen kann.

PS:
3DCenter unterschreibt generell keine NDAs bzw. würde jene im Einzelfall nur dann unterschreiben, sofern darin ein Nutzwert für die Leser liegt. Informationen zurückzuhalten ist in aller Regel kein Nutzwert, insofern kommen wir eigentlich nie in diese Situation.

Nachtrag vom 26. Juni 2018

In der Frage von nVidias neuem NDA gibt es inzwischen eine breite Diskussion mit sehr unterschiedlichen Standpunkten: Was für die einen eher weniger von Belang ist, bringt andere maßgeblich auf die Palme. So lange es sittsam zugeht, ist es auch gut, so etwas auszudiskutieren, gerade manche Details erschließen sich erst bei genauerer Betrachtung. Eine abschließende Bewertung ist aber wohl schon allein deswegen nicht zu geben, weil der NDA-Text augenscheinlich auf US-Recht abgestimmt ist und gewisse europäische Befindlichkeiten bzw. abweichende Rechtauffassungen hierbei nicht beachtet wurden. Insofern ist es auch sehr gut möglich, das sich nVidia hierzu noch einmal offiziell erklärt, eventuell auch eine deutschsprachige Version des ganzen herausbringt, welche dann klarer zu lesen ist. Nichtsdestotrotz hat das ganze natürlich erst einmal für ein größeres Medienecho gesorgt, somit gibt es derzeit schon Stellungnahmen seitens ComputerBase, GameStar, Hardwareluxx, PC Games Hardware, Guru3D und TechPowerUp, hinzu kommt noch die gestern schon verlinkte Stellungnahme seitens Tom's Hardware.

Dabei gehen auch in den Redaktionen die Meinungen konträr: Die einen sehen kein praktisches Problem, die anderen haben die NDA-Unterzeichung abgelehnt (Heise & GameStar) – und sich damit natürlich vom Vorab-Informationsfluß seitens nVidia samt eventueller Testsamples von nVidia selber abgeschnitten. Selbigem Problem kann man in Einzelfällen über Testsamples von Grafikkarten-Herstellern begegnen, aber beim Launch wirklich neuer Grafikchips bzw. Grafikchip-Generationen liegen oftmals nur Testsamples seitens der Chipentwickler vor, da gehen die entsprechenden Publikationen dann also leer aus (und können keine Launchreviews mehr anbieten). Journalistisch ist dies für jene Publikationen damit also durchaus eine beachtbare Einschränkung, ergo will eine Ablehnung eines solchen NDAs wohlüberlegt sein – und manche Publikationen können sich dies aufgrund ihres einmal aufgebauten Profils als bekannte Hardware-Tester eigentlich auch gar nicht leisten. Normalerweise sollte ein Journalist jedoch immer die Option haben, es sich mit einem Hersteller zu verscherzen, erst dann kann die vierte Gewalt ihre Wirkung entfalten. Bei marktdominierenden Unternehmen wie nVidia (oder auch Intel & Microsoft) wird es jedoch schwer, diese Option zu ziehen – was ein weiterer Grund dafür sein sollte, Marktdominanz zugunsten gesunder Märkte gar nicht erst zuzulassen.